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Serie Kündigungsrecht: Kündigung eines Betriebshaftpflicht- vertrages aufgrund Doppelversicherung – 70b 24/01g

Avatar of ÖVM ÖVM | 05. Dezember 2022 | Recht

 

Sachverhalt

Es werden zwei Kapitalgesellschaften miteinander verschmolzen. Beide Gesellschaften hatten bei unterschiedlichen Versicherern eine Betriebshaftpflichtversicherung mit weitestgehend identem Deckungsumfang abgeschlossen. Die aufnehmende Gesellschaft als Erwerber will nun einen der beiden Verträge mit Hinweis auf

§ 60 (Doppelversicherung), § 68 (Risikowegfall) und § 70 (Veräußerung der versicherten Sache) kündigen. Das Versicherungsunternehmen weist die Kündigung als unwirksam fristgerecht zurück. 

 

Rechtliche Beurteilung

In einem ersten Schritt gilt es zu prüfen, ob die angeführten Kündigungsparagraphen auf die Betriebshaftpflichtversicherung Anwendung finden.

Die Betriebshaftpflichtversicherung stellt eine Schadensversicherung, konkret eine Passivenversicherung, dar. Die genannten Paragraphen befinden sich alle im 2. Abschnitt des VersVG, der die Überschrift Schadensversicherung trägt. Demnach wäre die Anwendbarkeit grundsätzlich zu bejahen.

 

Anwendung § 60 Abs. 1 VersVG (Doppelversicherung)

Ein zentrales Element der Schadensversicherung stellt das Bereicherungsverbot dar. Niemand soll nach dem Schadensfall bessergestellt sein als vor dem Schadenseintritt. Ist nun ein und dieselbe Sache unbeabsichtigt bei zwei Assekuranzen versichert, würde im Schadensfall der Versicherungswert doppelt zur Auszahlung gelangen. Dies wäre eine verbotene Bereicherung des Versicherungsnehmers. § 60 Abs. 2 VersVG soll derartige Situationen verhindern, indem nach Bekanntwerden der nicht gewollten Doppelversicherung der später abgeschlossene Vertrag vom Versicherungsnehmer gekündigt werden kann.

Da es sich aber bei gegenständlichem Vertrag um eine Passivenversicherung handelt, die keinen objektiven Versicherungswert, sondern eine vom Versicherungsnehmer (frei-)wählbare Versicherungssumme zu Gegenstand hat, ist eine Bereicherung auch dann nicht gegeben, wenn zwei weitestgehend idente Haftpflichtversicherungsverträge bestehen, weil nur der tatsächlich entstandene Schaden – begrenzt durch die vereinbarten Versicherungssummen – zur Auszahlung gelangt.

Die Bestimmungen über die Doppelversicherung sind demnach – zumindest auf den ersten Blick – nur auf jene Schadensversicherungen anwendbar, denen ein objektiver Versicherungswert zugrunde liegt. Derartige Verträge bezeichnet man als Aktivenversicherung und eine solche liegt hier nicht vor.

 

Anwendung § 68 Abs. 2 VersVG (Risikowegfall)

Durch den Wegfall des versicherten Risikos endet der Vertrag. Im gegenständlichen Fall ist der versicherte Betrieb jedoch nicht gänzlich untergegangen, sondern wurde mit einem zweiten Unternehmen verschmolzen. Das Risiko existiert demnach weiter, weshalb § 68 VersVG hier nicht zur Anwendung kommen kann.

 

Anwendung § 70 Abs. 2 VersVG (Erwerberkündigung)

Der Erwerber tritt beim Kauf einer Sache an die Stelle des Veräußerers und übernimmt automatisch den Versicherungsvertrag. Der Paragraph 70 Abs. 2 gibt ihm aber die Möglichkeit, den Vertrag unter Einhaltung der dafür vorgesehenen Bedingungen und Fristen zu kündigen. Aber nur dann, wenn es sich um eine Einzelrechtsnachfolge handelt. Im gegenständlichen Fall liegt jedoch eine Verschmelzung vor und eine solche stellt eine Gesamtrechtsnachfolge dar. Die Erwerberkündigung ist daher ebenfalls nicht anwendbar.

 

OGH 7Ob 24/01g

Die Doppelversicherung ergibt sich bei der Gesamtrechtsnachfolge (Verschmelzung) nicht dadurch, dass ein und derselbe Versicherungsnehmer (hinter- oder nebeneinander) mehrere Versicherungsverträge über dasselbe Risiko abschließt. Das Zusammentreffen der Verträge erfolgt vielmehr unwillkürlich aufgrund des Vertragsüberganges, werden doch die zunächst getrennten Verträge nachträglich in einer Hand (übernehmenden Gesellschaft) vereinigt.

In solchen Fällen ist der Erwerber von vornherein außerstande, Abwehrmaßnahmen gegen die Doppelversicherung zu treffen, wird er doch ohne sein unmittelbares Zutun Versicherungsnehmer mit der unerwünschten Konsequenz einer doppelten Prämienbelastung. Ferner ist die geforderte Grundbedingung des § 60 Abs. 1 VersVG – die Identität desselben versicherten Interesses gegen dieselbe Gefahr bei mehreren Versicherern – gegeben. Daraus folgt, dass der Versicherungsnehmer (aufnehmende Gesellschaft) in gleicher Weise schutzwürdig ist wie ein irrtümlich doppelt Versicherter.

 

Durch dieses Lösungsergebnis wird dem Zweck der Bestimmung des § 60 VersVG Rechnung getragen, nämlich durch die Aufhebung des Vertrags die in der Doppelversicherung gelegene Prämienvergeudung zu beseitigen.