Sind 10-jährige Laufzeiten für Versicherungsverträge überhaupt zulässig?
| 27. Oktober 2022 | Recht
In Österreich ist es übliche Praxis, Versicherungsverträge mit 10-jähriger Laufzeit – meist gegen Gewährung eines Prämiennachlasses – abzuschließen. Verbrauchern wurde mit der VersVG-Novelle 1994 im § 8 Abs 3 das Recht eingeräumt, einen Versicherungsvertrag nach Ablauf von 3 Jahren zu kündigen. Unternehmern ist eine derartige Kündigungsmöglichkeit nicht gegeben. Umstritten ist, ob diese Lücke planwidrig oder gewollt ist. Der Oberste Gerichtshof hat jedenfalls in seiner Entscheidung 7 Ob 152/01 für Unternehmensverträge eine Analogie zu § 8 Abs 3 VersVG abgelehnt.
Zentrale Kündigungsbestimmungen des VersVG
§ 8 Abs 2 VersVG sieht für Verträge, die auf unbestimmte Zeit geschlossen wurden, unter Berücksichtigung eines höchstens zweijährigen Kündigungsausschlusses eine Beendigungsmöglichkeit nach drei Jahren vor. Diese Möglichkeit besteht unabhängig davon, ob es sich beim Versicherungsnehmer um einen Unternehmer oder einen Verbraucher handelt.
§ 8 Abs 3 VersVG normiert, dass Konsumentenverträge, die für eine Dauer von mehr als drei Jahren eingegangen wurden, zum Ende des dritten Jahres oder jedes darauffolgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündbar sind.
Es ergibt sich somit aus den zentralen Kündigungsbestimmungen des VersVG – § 8 Abs 2 und 3 – ein Leitbild, dass ein Versicherungsvertrag spätestens zum Ende des dritten Versicherungsjahres gekündigt werden können soll. Dieses Dreijahresmodell entspricht auch der für Versicherer einschlägigen Gruppenfreistellungsverordnung der Europäischen Kommission (VO 358/2003).
Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes
Der Oberste Gerichtshof hält jedoch in seinem Urteil fest, dass grundsätzlich Unternehmensverträge mit einer Laufzeit von mehr als 3 Jahren möglich sind. Wird dem Versicherungsnehmer jedoch im Zusammenhang mit derartigen Verträgen keine Kündigungsmöglichkeit ohne Angabe von Gründen
(= ordentliche Kündigung in Abgrenzung von Kündigungsmöglichkeiten, die eines außerordentlichen Grundes bedürfen, wie beispielsweise das paritätische Kündigungsrecht) eingeräumt, so sind diese Polizzen hinsichtlich der die drei Jahre übersteigenden Bindefrist im Sinne der Inhaltskontrolle des
§ 879 Abs 3 ABGB als nichtig zu qualifizieren. Es sei denn, die längere Laufzeit wurde im Einzelnen zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt. Den Gegenbeweis müsste im Streitfall jedoch der Versicherungsnehmer erbringen.
Beispiel
Eine gegenteilige Auffassung stünde in einem groben Widerspruch zum maßgeblichen Parteiwillen, was durch den folgenden Sachverhalt verdeutlicht wird: Unternehmer A schließt einen unbefristeten Vertrag ab, Unternehmer B entscheidet sich für eine Laufzeitbefristung von 5 Jahren. Ersterer kann spätestens zum Ende des dritten Versicherungsjahres unter Anwendung des § 8 Abs 2 VersVG kündigen, während Letzterem über die gesamten Vertragslaufzeit keine ordentliche Kündigungsmöglichkeit – ohne Angabe von Gründen – zusteht.
Obwohl Unternehmer A prinzipiell mit dem Abschluss eine unbefristeten Versicherungsvertrages einen längeren Bindungswillen als Unternehmer B hegt, ist er de facto kürzer – nämlich nur (mindestens) 3 Jahre – gebunden.
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