OGH-Entscheidung 7 Ob 209/23w
| 27. Februar 2024 | Recht
OGH kippt Pflicht zur Vorlage einer Reparaturrechnung als Voraussetzung für die Fälligkeit der Versicherungsleistung in der Kfz-Kaskoversicherung
Verlangt der Kfz-Kaskoversicherer vom Versicherungsnehmer für den Eintritt der Fälligkeit der Versicherungsleistung die Vorlage einer Rechnung über die Wiederherstellung, so ist diese Vereinbarung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 iVm § 15a Abs. 1 VersVG unzulässig: OGH 7 Ob 209/23w vom 24.01.2024
Sachverhalt
An dem kaskoversicherten Pkw des Versicherungsnehmers tritt ein Vandalismusschaden ein. Der Versicherungsnehmer begehrt den Ersatz der Reparaturkosten abzüglich des Selbstbehalts von seinem Kaskoversicherer. Der Forderungsbetrag beläuft sich auf rund € 9.840,00.
Der Kaskoversicherer lehnt mit der Begründung, es sei am Fahrzeug kein Vandalismusschaden im Sinne der Bedingungen eingetreten, ab. Es sei zweifelhaft, ob der Schaden durch betriebsfremde Personen verursacht worden sei, zumal ein sogenannter atypischer Vandalismusschaden vorliege, da nicht wie üblich nur zwei bis drei Fahrzeugteile beschädigt worden seien, sondern fast alle Fahrzeugteile des Fahrzeugs, auch dessen Dach und Scheinwerfer. Der Versicherer vermutet einen fingierten Vandalismusschaden, um einen höchstmöglichen kalkulatorischen Reparaturaufwand zu erzielen und damit eine hohe Bemessungsgrundlage für eine Ablösezahlung. Darüber hinaus wendet der Versicherer ein, dass die Versicherungsleistung nicht fällig sei, weil nach den Versicherungsbedingungen die Vorlage einer Rechnung über die ordnungsgemäße Wiederherstellung bzw. eines Nachweises der Veräußerung im beschädigten Zustand erforderlich sei. Das Fahrzeug des Versicherungsnehmers ist zwar noch nicht repariert worden, der Versicherungsnehmer beabsichtigt allerdings, die Reparatur in einer Fachwerkstätte vornehmen zu lassen.
Entscheidungen der Unterinstanzen
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab, weil es zulässig sei, als Voraussetzung für die Fälligkeit der Versicherungsleistung die Vorlage einer Reparaturrechnung zu vereinbaren. Üblicherweise sei der Versicherungsnehmer bei einem Teilschaden an der Reparatur oder einem Verkauf des Fahrzeugs interessiert. Diese Bestimmung solle wohl auch der gängigen Praxis entgegenwirken, die (hohen) Reparaturkosten eines Kostenvoranschlags von der Versicherung zu kassieren und den Schaden dann günstiger “schwarz“ reparieren
zu lassen.
Auch das alternativ erhobene Begehren auf Feststellung der Leistungspflicht des Versicherers wird von beiden Instanzen abgewiesen, mit der Begründung, dass das rechtliche Interesse fehle. Der Versicherungsnehmer hätte es in der Hand gehabt durch die Vornahme der Reparatur die Fälligkeit des Anspruchs herbeizuführen und dann Leistungsklage zu erheben. Der Oberste Gerichtshof teilte diese Rechtsansicht nicht und hob die Entscheidung der Vorinstanzen auf.
Aus der Begründung des OGH
Gemäß § 11 Abs. 1 VersVG sind Geldleistungen des Versicherers grundsätzlich mit der Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung des Versicherers nötigen Erhebungen fällig. Von dieser Fälligkeitsbestimmung darf gemäß § 15a Abs. 1 VersVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden; die Fälligkeitsregel des § 11 Abs. 1 VersVG ist daher einseitig zwingend zu Gunsten des Versicherungsnehmers. Bedenklich seien Vereinbarungen zur näheren Ausgestaltung der Fälligkeit, wenn diese bspw. festlegen, welche Erhebungen nötig sind, sofern diese nicht dem gesetzlichen Maßstab der nötigen Erhebungen entsprechen. Bereits in 7 Ob
245/03k habe der OGH ausgesprochen, dass jede Aufschubklausel bspw. in Abhängigkeit polizeilicher oder strafgerichtlicher Untersuchungen potentiell eine nachteilige Abweichung von den Fälligkeitsregeln des VersVG darstellen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 VersVG werde die Fälligkeit an die Beendigung der nötigen Erhebungen des Versicherers geknüpft. Nötig seien jene Erhebungen, die ein sorgfältiger Versicherer brauche, um den Versicherungsfall abschließend feststellen und prüfen zu können. Dazu komme noch die Prüfung des Umfangs der Leistungspflicht. Auch eine gewisse Überlegungsfrist sei zu berücksichtigen. Die Vorlagepflicht einer Reparaturrechnung gehe jedenfalls in generalisierender Betrachtung über die allein zulässigen nötigen Erhebungen nach § 11 Abs 1 VersVG hinaus. Der Kläger habe vorgebracht,
dass er die Reparatur des Fahrzeugs nach Abschluss des Prozesses beabsichtige. Allein der Umstand, dass ein Versicherungsnehmer nach Erhalt der Versicherungsleistung den Schaden am Kraftfahrzeug doch nicht reparieren lasse, rechtfertige für den Eintritt der Fälligkeit der Versicherungsleistung nicht die Vorlage einer Reparaturrechnung. Die gegenständliche Klausel enthalte daher ein unzulässiges Abweichen von der Fälligkeitsbestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 VersVG und ist daher ungültig, da sie zum Nachteil des Versicherungsnehmers der gesetzlichen Vorgabe des Abschlusses nötiger Erhebungen widerspreche.
Der OGH führt zusätzlich begründend an, wie bereits im Rechtssatz 0114507, dass zu berücksichtigen sei, dass durch die beklagte Versicherung die Versicherungsleistung bereits außergerichtlich abgelehnt worden sei. Eine Ablehnung der Versicherungsleistung führe zum Eintritt der Fälligkeit, weil der Versicherer dadurch ja den Abschluss der Ermittlungen zum Ausdruck bringe. Auch damit zeige sich, dass die gegenständliche Klausel der einseitig zwingenden Fälligkeitsregel des § 11 Abs. 1 Satz 1 VersVG widerspreche und damit die Vorlage der Rechnung für den Eintritt der Fälligkeit nicht generell gefordert werden könne.
Kommentar
Mit diesem Erkenntnis des OGH konnte eine wichtige Entscheidung über die Frage, ob die häufig in Versicherungsbedingungen von Kaskoversicherungen vorgesehene Pflicht zur Vorlage einer Reparaturrechnung zulässig ist, erreicht werden. Viele Kaskoversicherer verlangen als Voraussetzung für die Auszahlung der Kaskoversicherungsleistung die Vorlage einer Reparaturrechnung. Dies stößt in der Praxis häufig auf Schwierigkeiten, insbesondere, wenn der Versicherungsnehmer etwa aufgrund einer außergerichtlichen Ablehnung des Versicherers nicht sicher sein kann, ob ihm die Reparaturkosten überhaupt ersetzt werden oder nicht. Der OGH hat nunmehr klargestellt, dass die bedingungsgemäße Pflicht zur Vorlage einer Reparaturrechnung als Voraussetzung für die Fälligkeit der Versicherungsleistung ungültig ist. Ob damit auch anders gestaltete Versicherungsbedingungen, wonach die Vorlage einer Reparaturrechnung zwar nicht als Fälligkeitsvoraussetzung, jedoch als Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls definiert ist, ungültig sind, wird in Zukunft gegebenenfalls noch zu klären sein. Die Vorinstanzen haben auch das alternativ erhobene Feststellungsklagebegehren abgewiesen, wonach unabhängig von der Fälligkeit festgestellt werden sollte, ob der Kaskoversicherer im konkreten Fall dem Grunde nach leistungspflichtig ist oder nicht. Bisher konnte man sich bei einer Konstellation wie der gegenständlichen damit behelfen, dass ein derartiges Feststellungsbegehren erhoben wurde. Da dies von den Vorinstanzen im gegenständlichen Fall auch verneint wurde, konnte die gegenständliche Rechtsfrage zum Obersten Gerichtshof gebracht werden, wodurch aus meiner Sicht eine längst fällige Klarstellung erfolgt ist. Über die Frage der Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens muss der OGH damit allerdings nicht mehr entscheiden.
Bemerkenswert ist ferner, dass sich die Vorinstanzen – ohne nähere Prüfung – dem Vorbringen des Versicherers, wonach in derartigen Konstellationen häufig eine hohe Bemessungsgrundlage für Ablösen geschaffen werden solle, angeschlossen haben, obwohl die Kaskoversicherungsbedingungen gar keine Ablösen vorsehen und die Erbringung des objektiven Minderwerts ja nur für den Fall der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs vorgesehen ist.