Kündigungsklauseln in der Unfallversicherung nichtig - 70b 156/20x
| 25. Oktober 2022 | Recht
Der VKI hat im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich die Versicherungsbedingungen der Merkur AK vor Gericht gebracht. Zwölf Klauseln haben der Kontrolle durch den Obersten Gerichtshof (OGH) nicht standgehalten, darunter zwei, welche dem Versicherer außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten einräumten.
„Nach Eintritt des Versicherungsfalls kann der Versicherer kündigen, wenn er den Anspruch auf die Versicherungsleistung dem Grunde nach anerkennt oder die Versicherungsleistung erbracht hat. [...]“
Entscheidungsgründe des OGH:
Diese Klausel sieht ein Kündigungsrecht vor, das im Gesetz nicht geregelt ist. Eine analoge Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen für die Schadenfallkündigung wie in manchen Bereichen der Sachversicherung bzw. eine diesbezügliche vertragliche Regelung verbietet sich unter Berücksichtigung des Schutzgedankens der privaten Unfallversicherung. Denn für Versicherte ist es oftmals schier unmöglich, nach einer Kündigung durch den Versicherer wieder einen Versicherungsschutz – zumindest zu vergleichbaren Konditionen – zu erlangen.
Nach der Klausel steht der Versicherungsunternehmung bei einmaliger Bestätigung des Versicherungsschutzes oder bei Leistungserbringung ein uneingeschränktes Kündigungsrecht im Schadenfall zu, auch im Bagatellfall. Dadurch wird ihr die Möglichkeit eingeräumt, die Prämien während eines langen Zeitraums zu lukrieren und beim ersten Versicherungsfall den Versicherungsvertrag zu kündigen. Die jederzeit mögliche Kündigung durch den Versicherer wird dadurch zum Willkürakt, wird doch die Kündigung in sein freies Ermessen gestellt. Die Kündigungsrechte sind zwar formal gleich geregelt, jedoch besteht in diesen Fällen eine erheblich unterschiedliche Interessenlage, die den Versicherer ohne sachliche Rechtfertigung deutlich bevorzugt. Er kann nach der Klausel uneingeschränkt kündigen, während die Kündigungsmöglichkeit für den Versicherungsnehmer keinen besonderen Wert hat.
Inhaltlich besteht insofern ein grobes Ungleichgewicht. Die Klausel konkretisiert nicht die Voraussetzungen, unter denen der Versicherer sein Kündigungsrecht aus sachlich nachvollziehbaren Kriterien ausüben kann. Wird dem Versicherer eine völlig unkonkrete Kündigungsmöglichkeit beim ersten – noch so kleinen – Schadensfall eingeräumt, ist die Kündigungsregelung mangels objektiver Kriterien gröblich benachteiligend und hält schon aus diesem Grund der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB nicht Stand.
„Jährliches Kündigungsrecht nach drei Jahren für beide Vertragspartner in Ergänzung der diesem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen und Besonderen Bedingungen haben beide Vertragspartner das Recht, gegenständlichen Versicherungsvertrag, unabhängig von der in der Polizze festgesetzten Dauer zum Ende des dritten Jahres nach Vertragsbeginn oder danach jeweils zum Ende der laufenden Versicherungsperiode unter Einhaltung der Kündigungsfrist zu kündigen. Für den Versicherungsnehmer gilt eine Kündigungsfrist von einem Monat, für den Versicherer gilt eine Kündigungsfrist von drei Monaten als vereinbart“.
Entscheidungsgründe des OGH:
Die Unfallversicherung ist in den §§ 179 bis 185 VersVG geregelt. Eine besondere Regelung des Kündigungsrechts für die Unfallversicherung besteht nicht.
Durch die allgemeine Bestimmung des § 8 Abs 3 VersVG kann der Versicherungsnehmer, der Verbraucher ist, ein Versicherungsverhältnis, das er für eine Dauer von mehr als drei Jahren eingegangen ist, zum Ende des dritten Jahres oder jedes darauffolgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen. Nach § 15a Abs 1 VersVG kann sich der Versicherer auf eine Vereinbarung, die von der Vorschrift des § 8 Abs 3 VersVG abweicht, zum Nachteil des Versicherungsnehmers nicht berufen. Es handelt sich somit um ein halbzwingendes Recht zu Gunsten des Versicherungsnehmers.
Nach den ErläutRV 1553 BlgNR 18. GP S 16 zu § 8 wird ausdrücklich festgehalten, dass das Kündigungsrecht nach dreijähriger Vertragsdauer nur dem Versicherungsnehmer, nicht aber auch dem Versicherer eingeräumt wird. Letzterer bedarf in dieser Hinsicht keines Schutzes, weil ihm das Problem der Vertragslaufzeit hinreichend bewusst ist und er von vornherein einen kurzfristigen Vertrag anbieten kann, falls ihm eine langfristige Bindung an den Versicherungsnehmer nicht wünschenswert erscheinen sollte.
Grundsätzlich enden befristete Vertragsverhältnisse mit Zeitablauf. § 8 Abs 3 VersVG sieht ausnahmsweise zu Gunsten des Versicherungsnehmers ein vorzeitiges – außerordentliches – Kündigungsrecht bei einem befristeten Versicherungsvertrag vor. Die gesetzliche Regelung beinhaltet aber – anders als bei unbefristeten Verträgen – keine Kündigungsmöglichkeit des Versicherers im Zusammenhang mit befristeten Versicherungsverträgen.
Die Klausel verstößt damit gegen das Gesetz und ist im Sinn des § 879 Abs 1 ABGB nichtig.
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