Grundfähigkeits- versicherung: Die bessere Alternative für Handwerker?
| 27. Februar 2024 | Wirtschaft & Steuern
Eine wachsende Anzahl von Versicherern bietet nun Grundfähigkeitsversicherungen (GF-Versicherung) an, die speziell für handwerkliche Berufe gedacht sind und die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) ersetzen sollen. Ist dies eine sinnvolle Alternative? Die GV-Versicherung als Lösung für Probleme?
„Das Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“
Dieses Zitat stammt von John Lennon. Es betont die Unvorhersehbarkeit des Lebens und wie schnell wir die Kontrolle über unsere Umstände verlieren können, trotz unserer Planung und Bemühungen.
Als Versicherungsmakler liegt unsere Verantwortung darin, finanzielle Absicherung gerade für diese Lebenssituationen anzubieten. Für Kunden in akademischen oder kaufmännischen Berufen ist die BU oft eine geeignete Option. Bei Kunden,die körperlich arbeiten, kann jedoch die Höhe der BU-Prämien erst einmal eine Herausforderung darstellen. In solchen Situationen werden oft die Höhe der Berufsunfähigkeitsrente oder dieLaufzeit des Vertrags (zum Beispiel bis zum 60.Lebensjahr) angepasst, um die Prämien zu senken. Das Ergebnis ist, dass Kunden zwar weniger zahlen, aber im Falle eines Leistungsanspruchs trotz vorhandener Absicherung vor ernste finanzielle Probleme gestellt werden können.
Berufe mit körperlicher Belastung: Wenn die Berufsunfähigkeitsversicherung zu kostspielig ist
Berufe im Handwerk und im sozialen Bereich gelten oft als unbezahlbar für eine BU-Versicherung, obwohl diese Gruppen sie eigentlich benötigen würden. Der Grund dafür liegt im Preiswettbewerb der BU-Anbieter.
Vor nicht allzu langer Zeit beschränkte sich die Unterscheidung von Berufen üblicherweise auf kaufmännische Tätigkeiten und körperliche Arbeit. Heutzutage unterteilen Versicherungsanbieter ihre Neukunden jedoch in zahlreiche Berufsgruppen. Es geht um die Spitzenposition im Wettbewerb um die besten „Risiken“, das heißt um Verbraucher mit sehr geringem Risiko, berufsunfähig zu werden. Diese zunehmende Differenzierung in Berufsgruppen führt dazu, dass BU für vermeintlich sichere akademische Berufe tendenziell günstiger werden, während sie für handwerkliche und soziale Berufe teurer werden. Ein Beispiel hierfür ist, dass ein Chirurg weniger als die Hälfte des Beitrags für seine Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt, im Vergleich zu einer Krankenschwester, die ebenfalls
im OP-Saal arbeitet, obwohl beide die gleiche Absicherung erhalten.
Matthias Helberg – ein deutscher Maklerkollege mit Spezialisierung auf die Arbeitskraftabsicherung – hat 2017 und 2022 diesbezüglich Vergleiche angestellt mit interessanten Ergebnissen:
Was kostet eine Berufsunfähigkeitsversicherung – vom Gerüstbauer bis zum Physiker
Monatsbeiträge der teuersten und billigsten BU-Anbieter für die gefährlichsten und ungefährlichsten Berufe, jeweils in Euro (Monatsprämie)angegeben:
Beruf | teuerster Anbieter | billigster Anbieter |
Gerüstbauer | 191 | 142 |
Dachdecker | 172 | 142 |
Pflasterer | 191 | 125 |
Fliesenleger | 172 | 125 |
Zimmerer | 172 | 142 |
Maurer | 191 | 135 |
Isolierer | 191 | 138 |
Bauhilfsarbeiter | 172 | 142 |
Bäcker | 172 | 135 |
Architekt | 46 | 29 |
Vermessungsingenieur | 44 | 30 |
Apotheker | 44 | 29 |
Tierarzt | 60 | 29 |
Rechtsanwalt | 41 | 24 |
Maschinenbauingenieur | 37 | 21 |
Kosten einer BU-Versicherung für die gefährlichsten und ungefährlichsten Berufe, Stand Februar 2024. Quelle: eigene Berechnungen: Mann, 25 Jahre, Versicherungsendalter 65, Rentenhöhe 1000,- EUR mtl.
Welche Schlüsse lassen sich aus der Tabelle ziehen?
Die Tabelle verdeutlicht nicht nur die unterschiedliche Risikoeinschätzung der Versicherer für verschiedene Berufe, sondern auch die erheblichen Preis- und Leistungsunterschiede zwischen den Anbietern. Beispielsweise können die monatlichen Kosten für einen Gerüstbauer zwischen 191 Euro und 142 Euro variieren, während sie für Tierärzte mit einer gleichen BU-Rentenhöhe von 1.000 Euro zwischen 60 Euro und 29 Euro liegen.
Auch die Versicherungsgesellschaften haben dies erkannt und daher die Grundfähigkeitsversicherung, die lange Zeit vernachlässigt wurde, wieder in den Fokus gerückt. Sie soll insbesondere eine Lösung für Berufe im Handwerk darstellen. In den letzten Jahren hat sich außerdem ein Trend fortgesetzt, bei dem neue Berufsfelder entstehen, die nicht unmittelbar mit traditionellen Berufen in Verbindung stehen. Diese neuen Berufsbilder wie Blogger, Freelancer oder Schauspieler sind in der Regel schwer oder gar nicht vernünftig in einer BU-Versicherung versicherbar. Die GV-Versicherung bietet hier eine Alternative.
Die GV-Versicherung gilt als einfach verständliche und preisgünstige Alternative zur BU. Ob es um das Sehen, Sprechen, Stehen, Knien, Treppensteigen oder das Gebrauchmachen der Arme geht – jeder kann sich unter diesen grundlegenden Fähigkeiten etwas vorstellen. Aber die GV-Versicherung ist keine BU-light. Anstelle der Arbeitskraft versichert sie körperliche und nur in den seltensten Fällen auch geistige Fähigkeiten. Nur wenn diese grundlegenden Fähigkeiten nicht mehr möglich sind, wird eine monatliche Rente gezahlt, unabhängig von der Ursache der Beeinträchtigung. Im Gegensatz zur BU besteht hierbei kein direkter Zusammenhang zwischen den Leistungsauslösern und dem ausgeübten Beruf. Dies kann von Vorteil sein, wenn man eine Grundfähigkeit verliert und dennoch weiterhin Geld verdienen kann, falls diese Fähigkeit in dem Beruf nicht benötigt wird.
Die Kehrseite ist jedoch, dass man möglicherweise nicht mehr arbeiten kann, aber keine Entschädigung erhält, da man die grundlegende Fähigkeit noch nicht verloren hat. Tatsache ist aber, dass psychische Erkrankungen durch eine GF nicht angemessen abgesichert sind, dafür wäre eine BU-Versicherung erforderlich. Ein Blick auf die Ursachen für den Eintritt der Berufsunfähigkeit (auf Basis der Daten der deutschen Gesetzlichen Rentenversicherung, die seit den 1980er-Jahren erhoben und jährlich veröffentlicht werden.) zeigt die Bedeutung dieses Deckungsmangels.
Quellenangabe: Strobel, J. (2023). Versicherungstechnische Risiken in der
Berufsunfähigkeitsversicherung.
In: Arnold, R., Berg, M., Goecke, O., Heep-Altiner, M., Müller-Peters, H. (eds) Risiko im
Wandel. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37071-8_10
Die erhebliche Veränderung in den Ursachen für Berufsunfähigkeit wird in den Tabellen deutlich. Die Bedeutung von Wirbelsäulenerkrankungen und Herz-Kreislauferkrankungen ist seit 1995 bei beiden Geschlechtern signifikant zurückgegangen. Im Gegensatz dazu hat die Bedeutung von psychischen Erkrankungen als Ursache für Berufsunfähigkeit deutlich zugenommen; der Anteil hat sich bei beiden Geschlechtern verdoppelt. Besonders bei Frauen ist mittlerweile fast jeder zweite Fall von vorzeitiger Erwerbsminderung auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen. Jedoch ist auch bei Männern dies mittlerweile die
häufigste Ursache.
Die Gründe für diesen Trend sind vielschichtig und nicht einfach zu benennen. Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass unsere Gesellschaft heute in diesem Ausmaß stärker psychisch belastet ist als vor zwei Jahrzehnten. Es ist wahrscheinlicher, dass psychische und seelische Erkrankungen heutzutage ernster genommen und besser erkannt werden.
Was bedeutet dies für unseren Beratungsprozess?
Die Bedeutung bestimmter grundlegender Fähigkeiten variiert je nach Beruf. Daher ist es wichtig gemeinsam mit dem Kunden zu klären, welche Einschränkungen der grundlegenden Fähigkeiten dazu führen würden, dass der Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann.
Die GF wird oft als „Berufsunfähigkeitsschutz für Handwerksberufe“ angesehen, was jedoch schnell zu falschen Erwartungen führt. Während die Berufsunfähigkeitsversicherung bereits bei körperlichen oder psychischen Einschränkungen leistet - die eine Berufstätigkeit von mindestens 50% unmöglich machen - zahlt die GV-Versicherung erst, wenn eine grundlegende Fähigkeit komplett verloren geht. Ein Beispiel hierfür ist ein Fliesenleger, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist mehr als 3 Stunden am Tag auf den Knien zu arbeiten. In der BU wäre dies ein klarer Leistungsfall, jedoch erfüllt es nicht die Voraussetzungen für eine Leistung in der GF, da er gar nicht mehr knien können muss, um eine Leistung zu erhalten. Oft gelingt es trotz größerer Knieprobleme, zumindest für kurze Zeit zu knien. Aber es ist nicht nur der Preis, sondern auch die Gesundheit, die die GF zu einer attraktiven Option machen kann. Insbesondere psychische Erkrankungen sind in der GF selten abgedeckt. Daher ist es den Versicherern oft gleichgültig, ob jemand bereits in psychiatrischer Behandlung war. Nur wenn die Person kontinuierlich in Behandlung ist und Medikamente einnimmt, sind Grundfähigkeitsversicherer möglicherweise nicht am Abschluss interessiert.
Was ist jetzt die Lösung?
Die Qualität des Versicherungsschutzes ist natürlich sehr wichtig. Sie sollte aber nicht das einzige Entscheidungskriterium sein. Zu geringe Leistungen (in Bezug auf Rentenhöhe) oder zu kurze Laufzeiten aufgrund erhöhter Prämien nutzen im Ernstfall auch nicht viel.
In diesen Fällen kann es sinnvoller sein bei Budget- Engpässen auf eine niedrigere Deckung zu Gunsten einer betragsmäßig höheren Absicherung zu setzen. Hier bietet sich die GF an. Die Worst-Case Absicherung in sinnvoller Höhe und Laufzeit ist besser als ein Verlegenheitsvertrag oder keine Vorsorge.
Mir persönlich gefallen besonders gut Kombinationen. Zum Beispiel eine BU, die meinen Kunden in der finanziell anspruchsvollen Phase zwischen 25 und 50 Jahren absichert. In dieser Zeit laufen alle Finanzierungen, die Kids leben noch zu Hause, usw.
Wenn ich eine Absicherung in Höhe von bis zu 33% des Gehalts wähle, kann mein Kunde damit z.b: eine Umschulungsphase gut überstehen. Die Höhe ist jedoch dauerhaft nicht ausreichend – deshalb kommt nun ein zweiter Vertrag ins Spiel. Hier kann die GF eine wichtige Rolle spielen. Die Laufzeit wird auf das Renteneintrittsalter abgestimmt oder bis der Kunde nicht mehr auf sein Einkommen angewiesen ist.
Fazit: die Prämie sinkt aufgrund der geringeren Qualität der Absicherung. Die Höhe wird durch die Kombination sichergestellt und am Wichtigsten: die durchgängige Versorgung aufgrund der langen Laufzeit ist gewährleistet.