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Bemessungsgrundlage für die Zeitwertgrenze in der Sachversicherung

Avatar of Mag. Markus Freilinger Mag. Markus Freilinger | 27. September 2023 | Recht

 

An das ÖVM-Rechtsservice wurde folgender Fall herangetragen:

Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer hatte seine landwirtschaftlichen Gebäude unter anderem gegen Hagelschäden zum Neuwert versichert.

Im Juni 2022 wurde das Dach eines Stadels stark beschädigt. Bei dem Dach handelt es sich um ein Well-Bitumen-Dach, welches ein Alter von ca. 20 Jahren aufwies. Die angemessenen Schadenbehebungskosten wurden vom Sachverständigen des Versicherers mit rund € 17.500,00 veranschlagt. Auf Grundlage der Erhebungen dieses Sachverständigen argumentierte der Versicherer damit, dass bei Dächern dieser Art von einer maximalen Nutzungsdauer bis 20 Jahren auszugehen sei. Auf Basis einer Restnutzungsdauer von ein bis drei Jahren ergebe sich ein Abzug zum Neuwert von 92,5 %. Die gemäß den Versicherungsbedingungen vereinbarte Zeitwertgrenze von 30 % sei unterschritten und es werde lediglich der Zeitwert von rund € 1.300,00 ersetzt.

Richtig war, dass das Dach ein Alter von 20 Jahren aufwies, es hatte sich allerdings vor dem Hagelschaden in unbeschädigtem und ordnungsgemäßem Zustand befunden und war dicht gewesen.

Relevante Bedingungslage
Als Ersatzwert gilt bei Gebäuden der ortsübliche Neubauwert, jeweils zur Zeit des Eintritts des Schadenfalles als vereinbart. Bei versicherten Sachen, deren Zeitwert niedriger als 30 % des Neuwerts ist, erfolgt die Entschädigung lediglich zum Zeitwert.
Ausgeschlossen sind Schäden, die dadurch entstanden sind, dass sich versicherte Bauwerke oder Teile davon in einem baufälligen Zustand befunden haben.

Rechtslage
Der Versicherer bewertete lediglich das Dach des Stadels zur Ermittlung der Zeitwertgrenze von
30% nicht jedoch das gesamte Gebäude.
Diese Ansicht, welche der Versicherer im Laufe der Abwicklung revidieren musste, widerspricht der Judikatur des Obersten Gerichtshofes, der aus den Entscheidungen 7 Ob 239/02a und 7 Ob 250/04x folgenden Rechtssatz geprägt hat:
„Bei der Zeitwertberechnung im Falle unterschiedlicher Lebensdauer von Bestandteilen einer versicherten Sache ist eine isolierte Bewertung eines Daches als unselbständiger Bestandteil der versicherten Sache (des landwirtschaftlichen Gebäudes) abzulehnen, da eine solche Auslegung – nach dem Wortlaut und Sinn der 40%-Klausel (…) nicht den Grundsätzen des § 914 ABGB entspräche.“

Der Oberste Gerichtshof bezieht sich in der Begründung auf die Vorentscheidung 7 Ob 122/01v. Darin hat der Oberste Gerichtshof zur Zeitwertberechnung im Zusammenhang mit einem gestohlenen Motorboot im Rahmen der Kaskoversicherung Stellung genommen und ausgeführt, dass es nicht auf den Wert des Motors isoliert vom Wert des Bootes ankomme. Der Zeitwertberechnung sei vielmehr die Differenz zwischen dem Wert des Bootes vor dem Diebstahl, also mit altem Motor, zum Wert des Bootes mit neuem Motor zugrunde zu legen. Der Versicherungsschutz erstrecke sich nämlich nach der Art der Versicherung auf das Boot insgesamt, während dem Wert des gestohlenen abgrenzbaren Einzelteiles keine Bedeutung zukomme, weil der Motor zweifellos ein ausstattungsmäßig notwendiges Zubehör des kaskoversicherten Bootes sei. Nichts anderes könne für den Zeitwert eines versicherten Gebäudes nach der 40 %-Klausel im Rahmen der Neuwertversicherung gelten.

Der Oberste Gerichtshof erteilt damit den in der Praxis immer wieder zu beobachtenden Versuchen einzelner Versicherer, zur Bemessung der Zeitwertgrenze lediglich die beschädigten Baubestandteile heranzuziehen, eine klare Absage. Zu bewerten ist sohin stets das gesamte Gebäude.
Im konkreten Zusammenhang wendete der Versicherer in der Folge noch ein, dass das Dach am Ende der technischen Lebensdauer angelangt sei und es auch ohne den eingetretenen Schadensfall im Rahmen der Instandhaltungsverpflichtung zu sanieren gewesen wäre.

Auch diesem Einwand wurde im Rahmen des ÖVM-Rechtsservices begegnet. Zum einen waren Instandhaltungsmängel nicht einmal im Gutachten des Versicherungssachverständigen konkretisiert worden, zum anderen waren gemäß Bedingungslage lediglich solche Schäden nicht versichert, welche auf einen baufälligen Zustand von Bauwerken oder deren Teilen zurückzuführen seien. Für einen baufälligen Zustand oder auch nur die Verletzung von Instandhaltungspflichten lagen keine Beweise vor.

Ergebnis
Der Versicherer konnte im Vergleichsweg zu einer deutlichen Erhöhung der Entschädigungszahlung bewegt werden, wodurch dem Versicherungsnehmer eine Wiederherstellung des Daches möglich ist.

TIPPS AUS DER PRAXIS - Alexander PUNZL (Vizepräsident ÖVM & Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger)

Einerseits muss einem Versicherungsunternehmen, welches landwirtschaftliche Gebäude versichert klar sein, dass es sich zum Teil um alte Gebäude handelt bzw. dass Nebengebäude nicht immer den Bauzustand aufweisen, wie wir ihn von Wohn- oder Betriebsgebäuden kennen.

Andererseits sollten wir als vorausschauende(r) Versicherungsmakler:in, um die aufgezeigten Schwierigkeiten bei Schadenfällen zu vermeiden, solche Risiken besichtigen bzw. wenn das nicht möglich ist, zumindest an Hand einer Fotodokumentation feststellen, bei welchen Gebäuden der Erhaltungszustand möglicher Weise problematisch ist.
Ich habe im Laufe meiner langjährigen Praxis als Versicherungsmakler unzählige land- und forstwirtschaftliche Betriebe gesehen und dafür Versicherungsschutz eingekauft. Dabei ist es schon vorgekommen, dass ich dem Versicherungsnehmer geraten habe, das eine oder andere Gebäude erst nach einer Dachsanierung zur Sturmschadenversicherung anzumelden.
Das ist natürlich eine Gratwanderung, aber, wenn ich den Versicherungsnehmer umfassend über alle Pro‘s und Kontra‘s aufkläre und dies auch sauber dokumentiere, kann ein solcher Rat m.E. nicht zum Bumerang für die Maklerhaftung werden.

Ganz optimal wäre es natürlich, wenn es Schätzgutachten gibt, in welchen der Bauzustand festgehalten ist oder, wenn Sie unsicher sind und keine Gutachten vorliegen, könnten Sie dem Versicherer zumindest Fotos von den betroffenen Gebäuden zukommen lassen.
Damit hätten Sie dem Versicherer das zu versichernde Risiko vollumfänglich dargelegt und wenn keine Einwände kommen, dürften in nächster Zeit keine Einwände, wie wir sie im vorliegenden Fall gesehen haben, vom Versicherer vorgebracht werden.

ACHTUNG, ich habe geschrieben „in nächster Zeit“, denn mittel- und langfristig, wenn der Versicherungsnehmer einfach keine Erhaltungsmaßnahmen mehr setzt, kann das dafür kein Freibrief sein!