Die Versicherungskunden werden immer offener für neue Vertriebskanäle. 69 % der Deutschen können sich bereits vorstellen, eine Versicherung komplett online abzuschließen. Im Vorjahr lag dieser Wert noch bei 57 %.
Auch immer mehr Österreicher schätzen den Einkauf im Internet. Zwischen 2008 und 2018 ist der Anteil der Online-Käufer von 37% auf 60% gestiegen. Besonders relevant für Prognosen: Bei den 16–24-Jährigen lag dieser Anteil bereits über 80%. Gab es anscheinend vor 10 Jahren noch Bedenken und Hindernisse, wird e-commerce heute von mehr als der Hälfte der Wohnbevölkerung genutzt, bei den Jungen sind es bereits mehr als zwei Drittel.
Online-Käufe verändern die Kundenerwartungen radikal. Die Anforderungen an Geschwindigkeit und Genauigkeit erhöhen sich rasant. Dauert die Antwortzeit länger als einen Tag, empfinden das Kunden als Missachtung. Wird die Ware nicht innerhalb weniger Tage geliefert, droht ein Shitstorm auf Social Media, ein 24/7-Service wird als Selbstverständlichkeit angenommen.
Bequemlichkeit, Geschwindigkeit und Verfügbarkeit - quer durch alle Branchen werden Kaufentscheidungen zunehmend nach diesen Kriterien getroffen. Alle Zeichen deuten darauf, dass diese Entwicklung immer stärker auch den Versicherungsmarkt erfassen wird.
Digitalisierung am Versicherungsmarkt
Am österreichischen Versicherungsmarkt ist diese Entwicklung derzeit allerdings höchstens zu erahnen. Seit vielen Jahren wird über Digitalisierung geschrieben und diskutiert, kaum eine Konferenz lässt dieses Thema aus und trotzdem behielten bislang die Skeptiker recht: Der digitale Versicherungsmarkt ist in Österreich noch immer sehr überschaubar. Es gibt jedoch einige Anzeichen, dass sich das eher kurz- als langfristig ändern wird.
Die Investitionen in InsureTechs haben sich weltweit von rd. 500 Mio. in 2014 auf rd. 1,6 Mrd. 2017 erhöht, um sich im Jahr 2018 auf 3,2 Mrd. US-Dollar zu verdoppeln. Nun ist Investment allein kein Garant für Erfolg, aber ein klares Signal, dass immer mehr Investoren auf das Potenzial von digitalen Versicherungsmodellen setzen. Mehr Investment bedeutet auch mehr Variabilität und höhere Qualität der Angebote. In einem viel beachteten Artikel von Paul Morgenthaler wird ausführlich dargestellt, warum „Neo Insurer“ für Investoren derzeit interessanter sind als „Neo Banks“. Einer der Gründe liegt laut Morgenthaler in der größeren Differenz zwischen Newcomern und etablierten Unternehmen. Während Banken bereits breitflächig ihre Dienste auch digital anbieten, ist das im Versicherungsbereich noch eher die Ausnahme.
Die meisten InsureTechs bewegen sich derzeit noch an den Rändern der Versicherungslandschaft: Kurzfristige Deckungen, Garantieverlängerungen, Deckungen für sehr spezifische Gruppen finden zumindest in Österreich noch keine breite Anwendung. Doch die Erfahrung der Anbieter und die Bereitschaft der Kunden wächst stetig.
Während etwa in Deutschland oder Großbritannien Aggregatoren bei Retail Versicherungsprodukten bereits große Bedeutung erlangt haben, sind die größten Marktteilnehmer in Österreich bis jetzt an solchen Vergleichsplattformen nicht beteiligt. Aber auch hier scheint es bereits ein Umdenken zu geben: Die ersten schüchternen Versuchsballons werden gestartet und alle warten gespannt, was passiert.
Die stark gestiegene Nutzung von digitalen Angeboten, die sich damit verändernden Kundenerwartungen und die verstärkten Investments in InsureTechs lassen einige Hypothesen für die Versicherungswirtschaft zu: Es erscheint unwahrscheinlich, dass der österreichische Versicherungsmarkt von der Digitalisierung weiterhin unberührt bleibt.
Voraussetzung dafür ist ein Angebot, das für den digitalen Vertrieb geeignet ist. Die Strategie, eine derzeit am österreichischen Markt übliche Haushaltsversicherung, die für einen Beratermarkt konzipiert wurde, einfach ins Netz zu stellen, wird nicht funktionieren. Eine radikale Vereinfachung der Produkte sowie eine lückenlose digitale Antragsstrecke sind zwingende Voraussetzungen. Digitale Angebote, die in einem Terminvorschlag bei einem Außendienstmitarbeiter der Versicherung münden – tatsächlich bei einem österreichischen Versicherer so gesehen – werden den oben definierten Ansprüchen nicht gerecht.
Es ist nicht davon auszugehen, dass sich der Vertrieb von Versicherungsprodukten von einem Tag auf den anderen zu 100% vom Berater ins Internet verlagern wird. Gute Berater werden immer gefragt sein und werden selbstverständlich auch in einer stärker digitalisierten Welt ihre Berechtigung und ihren Markt haben. Aber es wird auch einen Markt geben – junge, digital affine Kunden mit Standard- Versicherungsbedarf – die man so nicht mehr erreichen kann. Hier zeigen InsureTechs und digitale Versicherer wie es gehen kann: Durchgängig digitale Prozesse, einfache Produkte, kurze Bindungen und wenige Antragsfragen sind die Zukunft.
Nach den auf entwickelten digitalen Versicherungsmärkten beobachtbaren Trends ist nicht von disruptiven Veränderungen auszugehen, sondern viel mehr von einer langsamen Entwicklung hin zu mehr und vielfältigeren digitalen Angeboten. Dabei spielen InsureTechs eine bedeutende Rolle. Aber auch deren Rolle und Anspruch wandelt sich zunehmend. Viele Startups verstehen sich mehr als „Enabler“ und nicht als „Disruptoren“. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Angebot von etablierten Versicherungen auch angenommen werden wird.
Gerade im Bereich „bankassurance“ bieten sich solche Kooperationen an. Es scheint, dass Banken in ihren Bemühungen um mehr Digitalisierung wesentlich weiter sind als Versicherungen. Es gibt tatsächlich Versicherungen, die noch nicht einmal eine digitale Kundenplattform anbieten - dies wäre für Banken undenkbar. So treffen nun digitale Bankplattformen auf analog organisierte Versicherungsangebote. Das führt zwangsläufig zu Frustration und einem Medienbruch für die Kunden. Große Marktpotenziale bleiben dadurch liegen.
Auch wenn die Skeptiker bisher recht behalten haben - das Thema Digitalisierung wird mit Sicherheit vor der Versicherungswirtschaft nicht haltmachen. Es bleibt ein spannendes, weil hoch zukunftsrelevantes Thema.