Serie Kündigungsrecht Widerruf einer Kündigung führt letztendlich doch zu einer Leistungspflicht des Versicherers
| 15. März 2021 | Recht
Ein einseitiger Widerruf einer Kündigung ist nicht möglich und daher unwirksam. Widerruft ein Versicherungsnehmer jedoch während eines aufrechten Versicherungsverhältnisses, so trifft den Versicherer eine Zurückweisungsverpflichtung, da dieser Widerruf rechtlich als Anbot zur Fortsetzung des bisherigen Versicherungsverhältnisses seitens des Versicherungsnehmers zu werten ist. Kommt die Assekuranz dieser Verpflichtung nicht innerhalb angemessener Frist nach, so gilt das Schweigen als Zustimmung zur Fortsetzung.
Sachverhalt
Es wurde ein Krankenversicherungsvertrag – Krankheitskosten und Krankenhaustag – am 1.2.1991 auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Die Bedingungen sahen für den Versicherungsnehmer ein ordentliches Kündigungsrecht zum Ende eines jeden Versicherungsjahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten vor, wobei für die ersten zwei Anfangsjahre wechselseitig auf eine Kündigung verzichtet wurde.
Am 5.11.2012 kündigte der Versicherungsnehmer den Vertrag zum 1.2.2013 per eingeschriebenem Brief. Die Versicherung wies am 9.11.2012 in einem Schreiben die Kündigung unter Bezugnahme auf die Einhaltung der vereinbarten 3-monatigen Frist als nicht ordnungsgemäß zurück, merkte jedoch gesetzeskonform die Kündigung per 1.2.2014 vor.
Am 25.10.2013 übermittelte der Versicherungsnehmer ein Schreiben an den Versicherer, mit dem er den Widerruf seiner Kündigung bekräftigte und wünschte, die Polizze in unveränderter Form weiterzuführen. Das Versicherungsunternehmen reagierte auf dieses Ansuchen nicht.
Im Juni 2014 erkrankte der Versicherungsnehmer schwer und musste zur ärztlichen Behandlung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Im Glauben eine aufrechte private Krankenversicherung zu besitzen, ließ der vermeintlich Versicherte sich auf die Sonderklasse bringen und begehrte nach seiner Entlassung Taggeld. Der Versicherer verweigerte die Leistungen mit Verweis darauf, dass eine einseitige Kündigungsrücknahme nicht möglich sei und demnach kein aufrechter Vertrag bestünde.
Rechtliche Beurteilung
Die Kündigung ist eine einseitige, vertragsgestaltende Willenserklärung eines Vertragspartners, die darauf gerichtet ist, den Vertrag zu beenden. Die Kündigung ist empfangsbedürftig und wird daher im Sinne des § 862a ABGB mit dem Zugang beim Empfänger wirksam.
Eine zeitwidrige Kündigung ist grundsätzlich in eine ordnungsgemäße Kündigung umzudeuten, also rechtlich so zu behandeln, als ob sie unter Einhaltung der vorgeschriebenen Fristen zum nächst zulässigen Termin ausgesprochen worden wäre, wenn dies dem mutmaßlichen, dem Erklärungsempfänger erkennbaren Willen des Kündigenden zum Zeitpunkt der Kündigung entspricht (Konversion).
Nach dem Zugang ist ein einseitiger Widerruf der Kündigung nicht mehr möglich; eine darauf gerichtete Erklärung wäre in ein Anbot auf Fortsetzung des früheren Vertrags umzudeuten. Für die Fortsetzung ist dann noch die Annahme durch den anderen Teil erforderlich, die auch stillschweigend erfolgen kann.
Eine stillschweigende Erklärung im Sinne des § 863 ABGB besteht in einem Verhalten, das primär etwas anderes als eine Erklärung bezweckt, dem aber dennoch auch ein Erklärungswert zukommt, der vornehmlich aus diesem Verhalten und den Begleitumständen erschlossen wird. Die nonverbale Äußerung kann in einer positiven Handlung - konkludente oder schlüssige Willenserklärung - oder in einem Unterlassen – Schweigen – bestehen. Nach den von Lehre und Rechtsprechung geforderten Kriterien muss die Handlung oder Unterlassung nach der Verkehrssitte und nach den geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer Richtung zu verstehen sein, also den zwingenden Schluss zulassen, dass die Parteien einen Vertrag schließen, ändern oder aufheben wollten. Es darf kein vernünftiger Grund bestehen, daran zu zweifeln, dass ein ganz bestimmter Rechtsfolgewille vorliegt, wobei stets die gesamten Umstände des Einzelfalls zur Beurteilung heranzuziehen sind. Schweigen allein hat grundsätzlich keinen Erklärungswert und bedeutet nur dort Zustimmung, wo Gesetz, Verkehrssitte oder Treu und Glauben eine Pflicht zum Handeln auferlegen oder der Nichtzustimmende nach Treu und Glauben oder nach der Verkehrssitte hätte reden oder antworten müssen.
Vom Obersten Gerichtshof wurde bereits mehrfach betont, dass das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße von Treu und Glauben beherrscht wird. Diesen Grundsatz muss der Versicherungsnehmer ebenso gegen sich gelten lassen wie der Versicherer. Diese starke Betonung von Treu und Glauben soll der Tatsache Rechnung tragen, dass jeder der beiden Vertragspartner auf die Unterstützung durch den jeweils anderen angewiesen ist, weil er dem jeweils anderen in der einen oder anderen Weise unterlegen ist. Der Versicherungsnehmer verfügt zum Beispiel allein über die Kenntnis wesentlicher Umstände für den Vertragsschluss und die Schadensabwicklung. Der Versicherer ist dem Versicherungsnehmer durch die Beherrschung der Versicherungstechnik, seine Geschäftskunde, seine umfangreichen Erfahrungen und wegen der Sachverständigen, der er sich bedienen kann, überlegen. Treu und Glauben beeinflussen daher das Versicherungsverhältnis in vielfacher Weise und können nach herrschender Meinung ergänzende Leistungs- oder Verhaltenspflichten schaffen.
Conclusio
Der Versicherungsnehmer, für den die Frage des (Nicht-)Fortbestehens des Versicherungsverhältnisses im Hinblick auf die Beurteilung der Notwendigkeit des Abschlusses eines neuen Versicherungsvertrags von großer Bedeutung ist, wurde vom Versicherer zunächst ordnungsgemäß und unverzüglich über die Unwirksamkeit seiner Kündigung informiert und diese dann in eine Kündigung zum nächstmöglichen Termin umgedeutet. Wenn nun der Versicherungsnehmer, während eines noch aufrechten Versicherungsverhältnisses seine vorherige Kündigung „widerruft“, rechnet er – umso mehr nachdem er über eine Unwirksamkeit der Kündigung umgehend in Kenntnis gesetzt worden war – auch mit einer Mitteilung über die allfällige Unwirksamkeit des „Widerrufs der Kündigung“. Es liegt bei gleicher Interessenlage wie bei einer unwirksamen Kündigung daher eine unklare Vertragslage vor, deren Klärung der Versicherer aufgrund seiner überlegenen Geschäftskunde nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unverzüglich einzuleiten hat. Unterlässt dies der Versicherer, indem er bloß schweigt, dann ist sein Schweigen als Zustimmung zu diesem – tatsächlich als Anbot auf Fortsetzung des bisherigen Versicherungsverhältnisses zu verstehenden – Widerruf zu verstehen. Die Assekuranz ist demnach zur Leistungserbringung verpflichtet.