Mitwirkungsgrad in der Unfallversicherung - 70b 67/15a
| 30. Mai 2023 | Wirtschaft & Steuern
Auszug aus den AUVB des VVÖ – Artikel 18 Abs. 1
Bei der Bemessung des Invaliditätsgrades wird ein Abzug in Höhe einer Vorinvalidität nur vorgenommen, wenn durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen ist, die schon vorher beeinträchtigt war.
Auszug aus den AUVB des VVÖ – Artikel 18 Abs. 2
Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung - insbesondere solche Verletzungen, die durch krankhaft anlagebedingte oder abnützungsbedingte Einflüsse verursacht oder mitverursacht worden sind - oder deren Folgen mitgewirkt, ist im Falle einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades, ansonsten die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens zu vermindern.
Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch einen Unfall hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, erfolgt eine Leistungskürzung durch den Versicherer im Ausmaß des Mitwirkungsanteiles. Der Abzug ist für alle Leistungsbausteine anwendbar. Viele Versicherer verzichten bis zu einem bestimmten Mitwirkungsanteil (z.B. 25 %) auf den Abzug, manche Versicherer verzichten auf einen Abzug, wenn ein bestimmter Invaliditätsgrad aufgrund des Unfalles vorliegt (z.B. über 50 %). Beweispflichtig dafür, ob eine Vorerkrankung an den Unfallfolgen mitgewirkt hat, ist der Versicherer.
Auswirkungen des Mitwirkungsgrades auf die Leistung
Bei der Invaliditätsleistung wird nicht die Leistung anteilig gekürzt, sondern der Invaliditätsgrad um den Prozentsatz des Mitwirkungsanteiles reduziert. Die Progressionsstaffel findet dann auf den neu ermittelten Invaliditätsgrad Anwendung.
Beispiel:
Grundversicherungssumme: € 120.000,00
Invaliditätsgrad laut Gutachten: 70%
Mitwirkungsgrad laut Gutachten: 30%
Progressionsstaffel:
Die Leistung wird zwischen 20% und 35% verdoppelt, zwischen 35% und 50% verdreifacht und zwischen 50% und 80% vervierfacht.
Lösung:
a) falsche Berechnung
Bereich | Prozentsatz | Progression | Leistungsanspruch |
0% bis 20% | 20% | linear | 20% |
20% bis 35% | 15% | Verdoppelung | 30% |
35% bis 50% | 15% | Verdreifachung | 45% |
50% bis 80% | 20% | Vervierfachung | 80% |
70% | 175% |
Grundversicherungssumme € 120.000,00 mal 1,75 = € 210.000,00 minus 30% = € 147.000,00
Leistungsanspruch: € 147.000,00
b) richtige Berechnung
Invaliditätsgrad minus Mitwirkungsgrad = 70% - 30% = 40%
Bereich | Prozentsatz | Progression | Leistungsanspruch |
0% bis 20% | 20% | linear | 20% |
20% bis 35% | 15% | Verdoppelung | 30% |
35% bis 50% | 5% | Verdreifachung | 15% |
50% bis 80% | -- | Vervierfachung | -- |
40% | 65% |
Grundversicherungssumme € 120.000,00 mal 0,65 = € 78.000,00
Leistungsanspruch: € 78.000,00
Kenntnis der Vorschädigung
Ein Abzug erfolgt auch, wenn dem Versicherer die Vorerkrankung bei Vertragsabschluss bekannt war. Der Abzug erfolgt zudem unabhängig davon, ob die versicherte Person vor dem Unfall die Vorschädigung bemerkt hat, da die Kenntnis der versicherten Person unerheblich ist. Hat beispielsweise die versicherte Person bis zum Unfall von ihrer bereits vor dem Unfall bestehenden Kreuzbandverletzung nichts gewusst, erfolgt dennoch der Abzug.
Mangels vorhandener Judikate ist fraglich, was passiert, wenn die versicherte Person bei Vertragsabschluss von einem höheren Risiko (z.B. Diabeteserkrankung) wusste, diesen Umstand im Zuge der vorvertraglichen Anzeigepflicht (§§ 16 ff VersVG) bekannt gab, der Versicherer aufgrund dessen einen Prämienzuschlag verrechnet und dann im Leistungsfall trotzdem den Mitwirkungsanteil in Anzug bringt. Dieses Vorgehen wäre eigentlich aus Sicht des Versicherungsnehmers gröblich benachteiligend und überraschend. Darüber hinaus liegt ein klarer Widerspruch zum Äquivalenzprinzip (Verhältnis des Risikos zu Prämie) vor.
Maßstab des Mitwirkungsanteils
Ein Abzug erfolgt nur, wenn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen über die mit der Alterung typischerweise einhergehenden Einschränkungen des Gesundheitszustands hinausgehen. Liegen die Beeinträchtigungen innerhalb der medizinischen Norm, darf kein Abzug erfolgen. Bei einem alterstypischen normalen Verschleißzustand handelt es sich also weder um eine Krankheit noch um ein Gebrechen. Beweispflichtig dafür, ob eine Vorerkrankung an den Unfallfolgen mitgewirkt hat, ist der Versicherer.
Quellen:
www.justiz.gv.at
www.ogh.gv.at
www.ris.bka.gv.at
www.versdb.at