Kernpunkte der Neuerungen in den Muster-AUVB 2008 (Version 02/2015)
| 19. Juli 2017 | Recht
Kernpunkte der Neuerungen in den Muster-AUVB 2008 (Version 02/2015)
Das Schiedsgutachterverfahren in der Unfallversicherung
Anders als in sonstigen Versicherungszweigen spielt in der Unfallversicherung das im Interesse außergerichtlicher Konfliktbereinigung vom versicherungsrechtlichen Gesetzgeber ermöglichte, wenngleich strikt reglementierte „Sachverständigenverfahren“ (§§ 64, 184 VersVG) – bei diesem handelt es sich bekanntlich nicht um ein schiedsgerichtliches Verfahren, sondern um ein Schiedsgutachterverfahren; die Schiedsgutachter treffen lediglich Feststellungen zu den in Art 16 AUVB angeführten Tatfragen, entscheiden aber nicht über Rechtsfragen – nach wie vor eine praktisch bedeutsame Rolle. Dieses „Sachverständigenverfahren“ ist zwar in seiner Ausgestaltung durch Art 16 AUVB insofern ein bloß optionales Verfahren, als die Streitparteien übereinstimmend auf die Abführung dieses Verfahrens verzichten (also unmittelbar den Prozessweg beschreiten) können; indes kann jede Partei einseitig (ohne dafür der Zustimmung der jeweils anderen Partei zu bedürfen) die Abführung dieses Schiedsgutachterverfahrens verlangen. Eine ungeachtet eines solchen Begehrens des jeweiligen Gegners eingebrachte Leistungsklage (eine solche wird in der Praxis der VN erheben) wäre mangels Fälligkeit des Anspruchs vom angerufenen Zivilgericht (von hier nicht näher zu erörternden Ausnahmefällen abgesehen) ohne Weiteres abzuweisen.
Nicht dieses Schiedsgutachterverfahren an sich – in den AUVB bislang wegen der Beteiligung dreier Ärzte als „Ärztekommission“ bezeichnet – stand auf dem Prüfstand der Gerichte, sondern die Regelung über die Tragung der Kosten für dieses Verfahren. Schon in der Vergangenheit hatten sich an der Kostenthematik Rechtskonflikte entzündet, was seinen Niederschlag in mehreren einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen (7 Ob 202/07t; 7 Ob 75/09v) gefunden hatte. Insbesondere die letztgenannte Entscheidung, in welcher der OGH über eine Klauselersetzung im Wege „ergänzender Vertragsauslegung“ befunden und eine solche just in eben jener Form gebilligt hatte, wie sie nun Gegenstand des Verbandsklageverfahrens war, ließ es überraschend erscheinen, dass die Kostenklausel nun neuerlich Ursache gerichtlicher Auseinandersetzung – und schlussendlich sogar eines Nichtigkeitsverdikts von Seiten des OGH – wurde.
Konkret war diese Kostenklausel so gestaltet, dass die Kosten der Ärztekommission von dieser selbst festgesetzt wurden und im Verhältnis des Obsiegens der beiden Parteien zu tragen waren, wobei eine sich dergestalt allenfalls ergebende Kostentragungspflicht des Anspruchsberechtigten zusätzlich mit einem bestimmten (niedrigen) Prozentsatz der für Tod und Invalidität zusammen versicherten Summe, höchstens aber einem bestimmten Teil des strittigen Betrages, begrenzt war. Der OGH gestand zwar zu, dass eine solche Regelung bei erster Betrachtung den zivilprozessualen Regelungen über Kostenersatz (§§ 41ff ZPO; Erfolgsprinzip) entspreche.
Bei näherer Betrachtung zeige sich aber, dass die Kosten der Kommission von dieser selbst bestimmt würden, ohne dass nähere Regelungen über die Bemessung dieser Kosten festgelegt oder hinsichtlich der Kostenfestsetzung Überprüfungsmöglichkeiten eingeräumt worden wären. Innerhalb des bedingungsgemäß definierten betraglichen Rahmens seien die zu erwartenden Kosten der Ärztekommission für den VN in keiner Weise abschätzbar, finde sich doch nicht einmal eine ausdrückliche Beschränkung auf objektiv notwendige Kosten.
Außerdem seien in der Klausel keine (kostenmäßigen) Regelungen für den Fall getroffen, dass sich im Zuge einer gerichtlichen Prüfung der Entscheidung der Ärztekommission herausstelle, dass deren Feststellungen offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen, in welchem Falle die von den Schiedsgutachtern getroffenen Feststellungen also gem § 184 Abs 1 S 1 VersVG (ausnahmsweise) nicht verbindlich seien. In Summe sei die getroffene Regelung somit gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB.
Auch hier erwies es sich zunächst als äußerst schwierig, den vom OGH aufgezeigten Kritikpunkten tatsächlich Rechnung zu tragen; die Schwierigkeit lag vor allem im Umstand, dass es – anders als im Gerichtsverfahren und den dort anwendbaren Regelungen des GebAG – keinerlei verbindliche ärztliche Tarife (bzw Tarifvereinbarungen zwischen Versicherern und Ärzten bzw gesetzlichen Interessenvertretungen der Ärzteschaft) gibt, welche es dem Versicherer selbst ermöglichten, die Kosten eines Schiedsgutachterverfahrens mit drei beteiligten Ärzten einigermaßen zuverlässig abzuschätzen. Daraus ergibt sich auch und erst recht die Unmöglichkeit, diesen Kostenrahmen bereits in den AVB verbindlich fest- und dem VN gegenüber offenzulegen, zumal die AVB ja einem Versicherungsvertrag üblicherweise für mehrere Jahre zugrunde liegen (damit also über eine relativ lange Zeitspanne, in welcher sich ärztliche Sachverständigengebühren erheblich ändern können).
Dennoch erschien es im Hinblick auf das ja durchaus im beiderseitigen Interesse gelegene Instrument einer raschen, fairen, unabhängigen, mit hoher Richtigkeitsgewähr ausgestatteten und verbindlichen außergerichtlichen Feststellung rechtserheblicher Umstände durch Schiedsgutachter höchst wünschenswert, eine rechtskonforme Regelung bezüglich der Kosten des Schiedsgutachterverfahrens zu treffen, weil ohne solche Regelung dieses Verfahren selbst notwendigerweise dem „Untergang“ geweiht wäre. Dabei zeigte sich rasch, dass eine alleinige Neuformulierung der Kostentragungsregelung im Hinblick auf einen anzustrebenden angemessenen Interessenausgleich zwischen Anspruchsberechtigtem und Versicherer unzureichend gewesen wäre; vielmehr ergab sich die Notwendigkeit einer kompletten Neugestaltung des Schiedsgutachterverfahrens.
Kernpunkte der in Art 16 AUVB getroffenen -Neuerungen sind:
Das Schiedsgutachterverfahren wird nicht mehr in Form einer Kommission aus drei Sachver-ständigen, sondern bloß mittels eines einzigen Schiedsgutachters abgeführt, auf den sich der vom Versicherer im Anlassfall beigezogene sowie der vom Anspruchsberechtigten mit der bisherigen Fallbeurteilung beauftragte Gutachterarzt einigen; gelingt eine solche Einigung nicht, wird seitens der Österr. Ärztekammer ein Schiedsgutachter bestellt. Dieses Procedere entspricht somit jenem, welches bislang für die Person des Obmanns der Ärztekommission galt und entspricht auch den gesetzlichen Kriterien des § 64 Abs 1 VersVG.
Verlangt der Versicherer die Abführung des Schiedsgutachterverfahrens, so trägt – unabhängig vom Ergebnis desselben – der Versicherer die Kosten des Schiedsgutachters allein. Damit ist sichergestellt, dass der Versicherer den Anspruchsberechtigten nicht in ein für letzteren kostenbelastendes Schiedsgutachterverfahren „treiben“ kann.
Verlangt hingegen der Anspruchsberechtigte die Abführung dieses Verfahrens, so wird der Versicherer ihm in geschriebener Form den Maximalbetrag der von diesem zu tragenden Kosten mitteilen, wobei sich dieser Maximalbetrag (neben den bisherigen prozentuellen Begrenzungen) auch unter Bedachtnahme auf die objektiv notwendigen Kosten des Schiedsgutachters errechnen wird. Der Schiedsgutachter wird in diesem Falle nur dann tätig, wenn der VN sein Einverständnis mit dem ihm mitgeteilten Maximalbetrag bekundet. Im Rahmen dieses Maximalbetrages erfolgt die Kostentragung – wie bisher – nach dem Erfolgsprinzip. Bei (ausnahmsweiser) Unverbindlichkeit der Feststellungen des Schiedsgutachters (§ 184 Abs 1 VersVG; s dazu oben) trägt der Versicherer die Kosten des Schiedsgutachters zur Gänze.
Der Schiedsgutachter hat seine Feststellungen aufgrund seiner eigenen Beurteilungen zu treffen, ist also nicht an die durch die bislang vorliegenden Gutachten (Sachverständiger des Versicherers und jener des Anspruchstellers) gezogenen Beurteilungsgrenzen gebunden; er hat sich aber mit diesen Gutachten inhaltlich auseinanderzusetzen.
Wie bisher ist das Schiedsgutachterverfahren fakultativ; auf dessen Durchführung kann aber jede der beiden Parteien (ebenfalls wie bisher) bestehen, sofern diese Meinungsverschiedenheiten auf insofern abweichenden medizinischen Gutachten des vom Versicherer im Anlassfall beigezogenen sowie eines vom Anspruchsberechtigten beauftragten Gutachterarztes beruhen. Dies bedeutet konkret: Besteht der Versicherer auf der Abführung des Schiedsgutachterverfahrens bzw. hat er auf ein solches bislang weder ausdrücklich noch schlüssig verzichtet, so kann er einer dennoch erhobenen Leistungsklage den Einwand mangelnder Fälligkeit entgegenhalten, sofern das anhängige Verfahren folgende Themen zum Gegenstand hat: Klärung
von Art und Umfang der Unfallfolgen;
der Frage, in welchem Umfang die eingetretene Beeinträchtigung auf einen Unfall zu rückzuführen sind;
der Beeinflussung der Unfallfolgen durch Krankheiten oder Gebrechen.
- Stichworte:
- kernpunkte
- muster-auvb2008
- ausgabe 01/2017