Interview mit Dr. Thanner
| 29. April 2019 | Wirtschaft & Steuern
Interview mit Dr. Thanner
? Herr Dr. Thanner, Sie sind seit 2007 in zweiter Amtszeit der Generaldirektor der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde. Ziel der BWB ist es unter anderem, das Unrechtsbewusstsein von Unternehmen hinsichtlich der Begehung von Wettbewerbsverstößen mittels Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz zu fördern, um wettbewerbsrechtliche Verhaltensweisen zu verhindern bzw. deren Aufdeckung zu erleichtern. Die Bundeswettbewerbsbehörde („BWB“) ist weisungsungebunden und garantiert dadurch den objektiven Charakter einer Überprüfungsinstanz. Von welchen Erfahrungen können Sie aus der Versicherungsbranche bis dato erzählen?
Dr. Thanner: Wir haben im Bereich Versicherung nur vereinzelt Beschwerden erhalten. Wenn es Wettbewerbsprobleme in einer Branche gibt, ist es immer wichtig an die BWB heranzutreten. Seit diesem Jahr kann man sich auch völlig anonym über das neu eingerichtete Whistleblowing-System an die BWB wenden. Man kommuniziert dabei über verschlüsselte Postfächer. Die BWB oder Dritte können nicht rückverfolgen, wer der anonyme Whistleblower ist. Bei Kartellabsprachen besteht aber auch die Möglichkeit, sich als Kronzeuge bei der BWB zu melden. Kronzeugenstatus erhält jemand, der die BWB bei der Aufdeckung eines Kartells unterstützt. Wenn die Zahl der Beschwerden in einer Branche wächst, ist die BWB immer interessiert daran, sich diese näher anzusehen. Zum Beispiel hat die Behörde letztes Jahr eine Gesundheitsbranchenuntersuchung begonnen, um Wettbewerbsprobleme zu identifizieren und Lösungen zu erarbeiten. Der erste Teilbericht zum österreichischen Apothekenmarkt wurde dieses Jahr im Mai veröffentlicht. Sollten sich Beschwerden in der Versicherungsbranche häufen ist es natürlich denkbar, dass auch in dieser Branche eine Branchenuntersuchung eröffnet wird oder Ermittlungshandlungen gesetzt werden.
? Der Versicherungsmakler ist analog der BWB auch unabhängig und kennt sein Marktsegment. Das Wettbewerbsrecht gilt natürlich auch für die Versicherungsunternehmen und Versicherungsmakler. Sind hier „Tatbestände“ bzw Verhaltensweisen vorstellbar, die wettbewerbswidrig sein könnten?
Ganz allgemein gesagt: Kartellabsprachen sind verboten. Damit meine ich zum Beispiel Preisabsprachen. Auch die Aufteilung von Gebieten zwischen Wettbewerbern ist grundsätzlich nicht erlaubt. In der Versicherungsbranche sind daher Absprachen zwischen Wettbewerbern zum Beispiel über Versicherungsprodukte, Provisionen, Prämien, oder Gebiets- bzw. Kundenaufteilungen generell verboten. In der EU steht die Versicherungsbranche in mehreren Mitgliedstaaten im Fokus der Beobachtung. Unter anderem hat die schwedische Wettbewerbsbehörde 2017 wegen des Verdachts von Bieterabsprachen bei Ausschreibungen Hausdurchsuchungen bei mehreren Versicherungen durchgeführt. Die britische Wettbewerbsbehörde startete eine Marktuntersuchung in der Versicherungsbranche. Die Europäische Kommission führte Hausdurchsuchungen im Bereich KFZ-Versicherungen in Irland wegen des Verdachts von wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen durch. Ebenfalls verboten ist der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Unternehmen die Marktmacht aufweisen, haben eine erhöhte Sorgfaltspflicht gegenüber anderen Unternehmen im Markt. So dürfen diese zum Beispiel keine stark überhöhten Preise fordern, die sich bei wirksamen im Wettbewerb nicht ergäben hätten. Auch die Benachteiligung von Vertragspartnern im Wettbewerb, durch die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen, kann ein Marktmachtmissbrauch sein. Es gibt aber noch andere Sachverhalte die unter Marktmachtmissbrauch fallen können.
? Am österreichischen Versicherungsmarkt existieren zahlreiche exklusive Rahmenvereinbarungen, die zwischen Versicherungsmakler, Versicherungsunternehmen und Dritten (Kammern, Zielgruppen, etc..) geschlossen wurden. Ist eine derartige Rahmenvereinbarung per se wettbewerbswidrig?
Allgemein gesagt dürfen Verträge zu keinen Wettbewerbsverzerrungen oder Wettbewerbsbeschränkungen führen. Exklusivvereinbarungen sind per-se nicht verboten. Wird der freie Wettbewerb durch die bereits erwähnten wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen wie ua Preisabsprachen, Informationsaustausch oder Gebietsaufteilungen beschränkt, kann eine Exklusivvereinbarung problematisch sein. Unternehmen müssen hier die europäischen und nationalen Vorgaben einhalten. Zu erwähnen ist, dass bis März 2017 die Gruppenfreistellungsverordnung für den Versicherungssektor noch in Kraft war. Diese stellte eine gemeinsame, horizontale Zusammenarbeit zwischen den Versicherungen im Hinblick auf Statistikarbeit und eine gemeinsame Deckung von Risiken durch sog. Mit(-Rück)versicherungsgemeinschaften frei. Dies bedeutete, dass die Versicherungsunternehmen nicht prüfen mussten, ob dies mit Kartellrecht vereinbar ist. Die EU Kommission kam zum Schluss, dass dies Kunden und Kundinnen Vorteile brachte und andere Wettbewerber es leichter dadurch hatten in den Markt einzutreten. Generell gilt der Grundsatz, dass Unternehmen einer Selbstbeurteilung unterliegen und prüfen müssen, inwieweit die gesetzten Maßnahmen mit geltendem Kartellrecht vereinbar sind.
? Dann werden wir präziser. Wenn nun in einem Bundesland eine Zielgruppe von ungefähr 4.000 zu versichernden Personen existiert und ein Versicherungsmaklerunternehmen mit einem Versicherer hier eine Exklusivvereinbarung mit der Kammer seiner Berufsmitglieder hält und der Anteil der versicherten Personen mehr als 50% widerspiegelt, wäre hier eine Wettbewerbsverletzung vorstellbar?
Im Kartellrecht gilt die Regel: Das ist immer eine Einzelfallentscheidung. Man muss mehrere Faktoren vertiefend prüfen. Denn wie erwähnt sind Exklusivvereinbarungen per-se nicht verboten. Wenn allerdings eine Vereinbarung dazu führt, dass der Wettbewerb minimiert oder verfälscht wird, kann dies nach Kartellrecht ein Problem darstellen. Umso mehr kann es ein Problem sein, wenn es sich hierbei um ein Unternehmen mit Marktmacht handelt. Diskriminierungen können wie bereits erwähnt einen Marktmachtmissbrauch darstellen.
? Mit welchen rechtlichen Konsequenzen hat ein Versicherungsunternehmen bzw ein Versicherungsmakler zu rechnen, würden wirklich Wettbewerbsverstöße von der BWB festgestellt werden?
Besteht der Verdacht, dass ein Verstoß vorliegt, werden Ermittlungen eingeleitet. Das heißt es kann sein, dass Hausdurchsuchungen in den Unternehmen durchgeführt werden. Wenn sich der Verdacht anhand der Ermittlungsergebnissen erhärtet, stellt die BWB einen Antrag auf Geldbuße beim Kartellgericht. Seit Bestehen der BWB im Jahr 2002, wurden mehr als 198 Millionen Euro an Geldbußen durch das Kartellgericht verhängt, überwiegend wegen vertikalen und horizontalen Preisabsprachen.
? Folgende Beantwortung der Frage liegt unseren ÖVM Mitgliedern auch am Herzen. So mancher Versicherer hat mit größeren Unternehmen bzw Gebietskörperschaften Vereinbarungen getroffen, die nur über einen Versicherungsvermittler vertrieben werden, was auch als sogenannte „geschlossene Gruppe“ versicherungsintern bezeichnet wird. Wie sieht die BWB derartige Situationen, wird hier jeder andere Versicherungsmakler „ausgegrenzt“?
Auch hier gilt, dass man die einzelnen Faktoren des Sachverhalts prüfen muss. Da unter bestimmten Umständen eine Erlaubnis gegeben ist. Das beginnt schon bei der Frage, ob der Versicherungsvermittler dem Versicherungsunternehmen zugerechnet wird oder nicht. Dies kann schon die Frage beantworten, ob Kartellrecht anzuwenden ist. Daher müsste man dies in einem Beschwerdefall vertieft prüfen.
- Stichworte:
- interview
- ausgabe 04/2018